In Vorbereitung - 2022 "Die Lesung" eine Novelle

Wir leben doch alle im gleichen moralische Dilemma. Die Frage stellt sich nur, ob wir daraus eine Lehre ziehen oder den Abgrund der finstersten Seite unserer Seele folgen. 

 

Den schon Nietzsche meinte: Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blick der Abgrund auch in dich hinein. 

 

Welch erschreckender Gedankengang … und hat doch Gültigkeit für jeden von uns.

Die Scheinwerfer blenden meine Augen derart, dass ich mit Mühe die erste Zuschauerreihe der Kulturszene des Veranstalters wahrnehmen kann. Mehr lässt das grelle Licht, das mich zwingt, blinzelnd meine Augen zu schützen, wenn ich versucht bin, in den Saal zu blicken. Bald wird der Raum mit hundert Besuchern seine Kapazität erreicht haben. Für die erste Lesung ein Erfolg, mit dem niemand gerechnet hatte, noch rechnen durfte.

In der Mitte der Bühne platziert ein runder Tisch mit filigran verzierten schmiedeeisernen drei Tischbeinen. Darauf ein Mikrofon, daneben eine kleine Leselampe aus silberfarbenem Metall. Das grüne Tischtuch rundet das Ganze harmonisch ab. Mein Buch drapiert, gut sichtbar für die Zuhörer. Tags zuvor markierte ich mir die Stellen des Romans mit orange färbigem Stift auf lose ausgedruckten Blättern, um bei der Lesung nicht hektisch in den Seiten des Buches suchen zu müssen. Meine einleiteten Worte in groben Zügen zusammengeschrieben, als roten Faden, um später nichts zu vergessen oder jemanden. Da wär ich jetzt an einem Punkt angelangt, der mir schlaflose Nächte beschert hatte. Wem gebührt mein Dank, außer mir, dem Schriftsteller. Ich weiß, dass es blasiert klingt so etwas zu sagen. Wer ist in den Nächten wachgelegen, wenn der Roman mich in die Knie gezwungen hat? Wie oft dachte ich ans Aufgeben, fragte, ob ich genüge? Ob es jemanden interessieren mag, was mein Hirn ausspeie. Welche Glückwünsche von Herzen gekommen sind. Die Schulterklopfenden, die kaum aufbauend, eher niederdrückend einem begegnen. Schreiben ist die einsamste Art seine Zeit zu verbringen. Ich verlasse das Reale, unser aller Existenz, gleite in eine, meiner erfundenen Welten ab, wobei ich diesen dann ausgeliefert bin. Es fühlt sich plötzlich echt an. Moralisch kein Unterschied. Die Gefahr besteht darin, jeder dieser einzelnen Fäden beider Leben zu verflechten. Zu verwirren, bis es unmöglich erscheint daraus zu entkommen. Und Wirklichkeiten sind bestenfalls wahrgenommen Gegebenheiten. Solche, die einen jubeln lassen oder tief traurig zurücklassen. Gerade in diesen Momenten des Schreibens gibt es entweder Übertreibungen oder Untertreibungen. Keine Chance, eine Balance zwischen den Welten herzustellen. Für mich ist diese Phase des Romans, nämlich kurz vor der Fertigstellung, die schlimmste Zeit. Ich möchte mein Baby, und so ein Projekt ist immer eine sehr persönliche Sache, nicht loslassen und doch wünscht man sich, dass gerade dieser Schatz über allem steht, was man bis dahin geschaffen hat.

„Ich hab's geschafft!“, blitzt es in meinem Kopf auf. Nie hätte ich geglaubt, hier, in meiner Stadt vor vollem Haus, mein erstes Buch zu präsentieren. Wie oft wurde ich von den Meisten belächelt. Abstrakte Idee als Schriftsteller tätig zu sein. Davon seinen Unterhalt zu bestreiten, wobei meine Vorstellung von Leben, nicht wie bei so vielen Menschen, mit Geld zu tun hat. Nein, sich als Individuum all den Wirren des Daseins zu stellen.

© Bernhard Brandstätter 08.04.2020